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Wenn das Herz „tanzen“ kann – geht es uns gut

Wenn das Herz „tanzen“ kann – geht es uns gut Posted on 28. Mai 2019

Ein tanzendes Herz, gibt es das? Ja, das gibt es. In der Medizin wird dafür der Begriff „Herzvariabilität“ verwendet. Ein variables Herz? Was bedeutet das?
Wenn in den Praxen per Hand oder mit einem Gerät der Puls gemessen wird, wird als Ergebnis immer eine fixe Zahl pro Minute genannt. Bspw. 70/min (ok für einen Ruhepuls) oder 55/min bei einem Sportler (da ist oft der Puls etwas langsamer als normal). „Normal“ ist eine Herzfrequenz (anderes Wort für Pulsschlag) von 60–100/min, wobei in Ruhe ein Puls über 90/min schon etwas komisch schnell wäre, wenn jemand nur sitzt und nichts „tut“. Das kann normal sein, wenn jemand zum Beispiel aufgeregt ist, kann aber auch organisch bedingt zu hoch sein, bspw. bei einer Herzinsuffizienz (Herzmuskelschwäche). Diese angebliche fixe Herzfrequenz pro Minute ist aber nicht „fest“. In Wahrheit variiert sie die ganze Zeit um einen Mittelwert herum. Das wird unter anderem sichtbar auf den Monitoren der Intensivstation, wo am Patientenbett „online“ Blutdruck, Puls und auch die Sauerstoffsättigung über einen kleinen Katheter gemessen wird, der in die Handarterie (a. radialis) gelegt wird. Plötzlich sieht man, wie sehr der Puls (und auch der Blutdruck) in Echtzeit „wackelt“. Mal steht da eine 70/min, dann eine 74/min, eine Sekunde später eine 68/min usw.

Ja, der Puls wackelt oder variiert im regelmäßigen Sinusrhythmus um einen mittleren Basalwert herum, der dann langsam oder schnell innerhalb oder auch außerhalb der Norm sein kann. Solange alles wackelt, ist in Wahrheit schon mal vieles gut, denn je „starrer“ der Pulsschlag ist, je weniger das Herz also tanzt oder tanzen kann, desto weniger ist eine gesunde parasympathikotone Regulation am Werke. Parasympathikus, was ist das? Wir alle haben ein autonomes vegetatives Nervensystem (VNS), das mit vielen Nervenfasern vom Gehirn kommend unsere Organsysteme steuert, ohne dass wir das „befehlen“ müssen. So wird unser tägliches Leben mit Atmung, Puls, Blutdruck, Nieren-, Leber- und Darmfunktion, Schwitzen, Hunger, Durst, Schlafen erst überhaupt möglich. In diesem autonomen (also selbstständig arbeitenden) Nervensystem wird unser Vegetativum (Befinden) von zwei miteinander kooperierenden Systemen gesteuert, dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Den Sympathikus kennen die meisten. Er lässt uns bei Lampenfieber zittern, stottern, schwitzen oder in der Not Bärenkräfte entwickeln, um rechtzeitig zu flüchten oder zu kämpfen. Der Sympathikus dominiert meist unseren „normalen“ Tag und lässt uns vor allem im Außen aktiv sein und so unsere Leistung erbringen. Vor allem führt er zur „inneren“ Anspannung. Wenn wir gestresst sind, ist „undercover“ der Sympathikus an der Macht. Er sorgt für Muskelanspannung, Cortisol-Ausschüttung, Energiebereitstellung im Blut von Glukose, Wach-Bleiben-Können usw.

Der Parasympathikus

Aber wo spielt der Parasympathikus eine Rolle? Er kommt am Tage so richtig nur zum Zuge, wenn wir eine Pause machen, uns ausruhen, meditieren, locker bewegen, bewusst atmen, malen und entspannen. Ansonsten ist der Parasympathikus vor allem in der Nacht aktiv und übernimmt in dieser Zeit die Regulation für einen wohltuenden Schlaf. Er sorgt für alles Gute, was in erholsamen Nächten mit unserem Körper passiert: Absenkung der Herzfrequenz, Verdauen in Darm und Leber, Regeneration, Verarbeiten von Informationen im Gehirn, Nierenfunktion, Steuerung der Drüsen und der Hormonausschüttungen und einen guten Wechsel von Tiefschlaf- und REM-Phasen in der Nacht.

Eine Folge von anhaltendem Stress ist im Laufe der Zeit der zunehmende Verlust unserer Parasympatikus-Aktivität, die sowieso auch beim Älterwerden Tendenzen hat, schwächer zu werden. Dieser Verlust der Parasympathikus- und die Zunahme der Sympathikus-Aktivität ist unter anderem eine Erklärung, wie es zu vielen der Symptome, die sich bei uns im Rahmen von Stress bemerkbar machen, überhaupt kommen kann. Beschwerden wie Schlafstörungen, hoher Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, Muskelschmerzen, Verdauungsprobleme, Müdigkeit und auch Angststörungen stehen immer auch im Zusammenhang mit einem gestörten, nicht balancierten VNS. Wenn die Balance des VNS zu Ungunsten des Parasympathikus gestört ist, macht sich das auch am Tage mit einer immer mehr starren Herzfrequenz bemerkbar. Das bedeutet, je weniger das Herz tanzt, desto weniger ist der Parasympathikus „undercover“ aktiv, was als Dauerzustand nicht gut ist für unsere gesunde Regulation vieler wichtiger Körperfunktionen.

Messung der Herzvariabilität (HRV)

Möchte man nun wissen, wie es um die Balance des eigenen vegetativen Nervensystems steht, kann man heutzutage mithilfe von verschiedenen Geräten, den Zustand und auch die Funktionsweise des VNS mithilfe der Messung der Herzvariabilität (HRV) sichtbar machen. Ist die HRV in einer Ruhemessung erniedrigt und damit der Parasympathikus reduziert, gibt es einen einfachen Test um zu sehen, ob er sich schnell wieder hochregulieren oder anschalten lässt: zwei Minuten regelmäßig etwas langsamer und tiefer als normal ein- und ausatmen. Ist unser VNS ansprechbar, geht ggf. der zu hohe Sympathikus runter und der Parasympathikus schaltet sich an und geht hoch, was in der Zunahme der HRV sichtbar wird.

Es ist wichtig, dass wir uns diesen einfachen Mechanismus bewusst machen. Wenn wir tief ein- und ausatmen, aktivieren wir unseren Parasympathikus! Alle Entspannungsmethoden, egal welcher Herkunft, basieren immer auf einer bewussten Atmung, deswegen vor allem tun sie unserem Körper gut, sie helfen, einen verkümmerten und vergessenen Parasympathikus wieder zu trainieren und aufzubauen. Aber auch jemand, der wandert oder singt, atmet mehr und dabei auch wohltuend rhythmisch. Alle, die Sport machen, atmen mehr, tiefer und bewusster. Im Sport wird die HRV ebenfalls vermehrt genutzt, weil man damit natürlich auch viel besser sehen kann, wer übertrainiert ist (zu viel Sympathikus) und wer sich nach einem intensiven Training besser noch ausruhen sollte. Man kann nachts Messungen machen und sehen, wie sehr Fernsehen vor dem Schlafengehen oder auch der Alkohol eine schöne parasympatikotone Nacht relevant stören kann. Auch bei Kindern ist es möglich, über die HRV-Messung die negativen Auswirkungen einer zu hohen Computerspiel-Aktivität auf das VNS sichtbar zu machen.

Fassen wir zusammen: Der Parasympathikus ist der Anteil unseres Nervensystems, der für das Tanzen des Herzens oder eine gute Herzvariabilität verantwortlich ist und solange wir unser Herz tanzen lassen können, ist es möglich, unser vegetatives Nervensystem in der Balance zu halten. Also in Situationen, in denen wir merken, dass wir unangenehm angespannt sind, einfach mal zurücklehnen und bewusst mehrmals tief ein- und ausatmen. Nutzen wir das.